Der Morgen begann harmlos. Kaffee, frisch aufgebrĂŒht, das vertraute Klopfen des Filters auf dem Porzellan. Gerhard stellte sich mit der dampfenden Tasse ans Fenster. Der Nebel hing tief zwischen den BĂ€umen, löste sich langsam in Streifen auf. Ein Morgen wie viele zuvor. Fast so, als hĂ€tte der gestrige Schreck nie stattgefunden.
Er beschloss, das GefĂŒhl abzuschĂŒtteln. Der Berg tat ihm gut, wie immer. Ein Spaziergang wĂŒrde die Gedanken ordnen. Mit festen Schritten ging er den Pfad hinunter, den er schon als Junge kannte. Feuchtes Laub knisterte unter den Schuhen, irgendwo schlug ein Specht, das leise Gluckern eines Baches begleitete ihn.
Wenig spĂ€ter stand er vor dem Haus seines Nachbarn. Alois, stĂ€mmig, wettergegerbtes Gesicht, begrĂŒĂte ihn mit krĂ€ftigem Handschlag.
âSchön, dass du wieder oben bist, Gerhard.â Er grinste, aber in seinen Augen lag etwas, das Gerhard nicht einordnen konnte. âPass ein bisschen auf. Der Berg ist dieses Jahr⊠unruhig.â
Gerhard lachte abwehrend. âDer Berg ist immer unruhig. Und ich auch.â
Sie tranken einen Schnaps zusammen, redeten ĂŒber alte Zeiten, und doch blieb ein Nachgeschmack zurĂŒck, als Gerhard wieder aufbrach.
Am Abend kehrte er zurĂŒck zur HĂŒtte. Ein warmer Schein lag noch ĂŒber den Wiesen, die Sonne sank hinter den Wald. Die Stille wurde dichter, je nĂ€her er kam. Fast so, als wĂŒrde der Berg wieder die Luft anhalten.
Da hörte er es.
Zuerst undeutlich, ein FlĂŒstern im Wind. Ein Laut, kaum mehr als ein Hauch.
Gerhard blieb stehen, lauschte. Nichts. Nur sein Herzschlag.
ââŠrhardâŠâ
Er drehte sich ruckartig um. Niemand da. Kein Laut, keine Bewegung.
âGerhard!â
Die Stimme war klar, nah, als hĂ€tte jemand direkt hinter ihm gestanden. Gleichzeitig brach die Welt um ihn herum in Stille. Kein Wind, kein Rascheln. Nur dieser tiefe, schwere Atem, der ihn frösteln lieĂ.
Dann â ein Ruck zurĂŒck in die NormalitĂ€t. GerĂ€usche kehrten zurĂŒck, der Abend war wieder da.
Gerhard stieĂ die TĂŒr auf, atmete schwer. Und erstarrte.
Auf dem KĂŒchentresen lag ein Taschenmesser. Zerkratzt, der Holzgriff mit den Initialen seines Vaters.
Das Messer, das er im Sommer bei den Bauarbeiten verloren hatte.
Wochenlang hatte er es gesucht.
Jetzt lag es hier.
Als hĂ€tte es jemand fĂŒr ihn hingelegt.
ââ-
Der Atem des Berges
Eine Halloween-Geschichte in sieben Teilen
âŠvon JĂŒrgen Kudlacek-Pertl
ein maennerformat original
Der Morgen begann harmlos. Kaffee, frisch aufgebrĂŒht, das vertraute Klopfen des Filters auf dem Porzellan. Gerhard stellte sich mit der dampfenden Tasse ans Fenster. Der Nebel hing tief zwischen den BĂ€umen, löste sich langsam in Streifen auf. Ein Morgen wie viele zuvor. Fast so, als hĂ€tte der gestrige Schreck nie stattgefunden.
Er beschloss, das GefĂŒhl abzuschĂŒtteln. Der Berg tat ihm gut, wie immer. Ein Spaziergang wĂŒrde die Gedanken ordnen. Mit festen Schritten ging er den Pfad hinunter, den er schon als Junge kannte. Feuchtes Laub knisterte unter den Schuhen, irgendwo schlug ein Specht, das leise Gluckern eines Baches begleitete ihn.
Wenig spĂ€ter stand er vor dem Haus seines Nachbarn. Alois, stĂ€mmig, wettergegerbtes Gesicht, begrĂŒĂte ihn mit krĂ€ftigem Handschlag.
âSchön, dass du wieder oben bist, Gerhard.â Er grinste, aber in seinen Augen lag etwas, das Gerhard nicht einordnen konnte. âPass ein bisschen auf. Der Berg ist dieses Jahr⊠unruhig.â
Gerhard lachte abwehrend. âDer Berg ist immer unruhig. Und ich auch.â
Sie tranken einen Schnaps zusammen, redeten ĂŒber alte Zeiten, und doch blieb ein Nachgeschmack zurĂŒck, als Gerhard wieder aufbrach.
Am Abend kehrte er zurĂŒck zur HĂŒtte. Ein warmer Schein lag noch ĂŒber den Wiesen, die Sonne sank hinter den Wald. Die Stille wurde dichter, je nĂ€her er kam. Fast so, als wĂŒrde der Berg wieder die Luft anhalten.
Da hörte er es.
Zuerst undeutlich, ein FlĂŒstern im Wind. Ein Laut, kaum mehr als ein Hauch.
Gerhard blieb stehen, lauschte. Nichts. Nur sein Herzschlag.
ââŠrhardâŠâ
Er drehte sich ruckartig um. Niemand da. Kein Laut, keine Bewegung.
âGerhard!â
Die Stimme war klar, nah, als hĂ€tte jemand direkt hinter ihm gestanden. Gleichzeitig brach die Welt um ihn herum in Stille. Kein Wind, kein Rascheln. Nur dieser tiefe, schwere Atem, der ihn frösteln lieĂ.
Dann â ein Ruck zurĂŒck in die NormalitĂ€t. GerĂ€usche kehrten zurĂŒck, der Abend war wieder da.
Gerhard stieĂ die TĂŒr auf, atmete schwer. Und erstarrte.
Auf dem KĂŒchentresen lag ein Taschenmesser. Zerkratzt, der Holzgriff mit den Initialen seines Vaters.
Das Messer, das er im Sommer bei den Bauarbeiten verloren hatte.
Wochenlang hatte er es gesucht.
Jetzt lag es hier.
Als hĂ€tte es jemand fĂŒr ihn hingelegt.
ââ-
Der Atem des Berges
Eine Halloween-Geschichte in sieben Teilen
âŠvon JĂŒrgen Kudlacek-Pertl
ein maennerformat original
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